a) Nochmals: Durchsuchung einer Anwaltskanzlei
Die Beschlagnahme von Datenträgern und hierauf gespeicherter Daten nach der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei war Gegenstand der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 12. 4. 2005 - 2 BvR 1027/02. NJW 2005, 2005, = StraFo 2005, 286; vgl. dazu eingehend ZAP F. 22 R. S. 420). In seinem Beschl. v. 5. 7. 2005 (2 BvR 497/03, NJW 2005, 3514 = PStR 2006, 3) hat das BVerfG seine Grundsätze noch einmal präzisiert. Nach dem Sachverhalt war gegen den beschuldigten Rechtsanwalt ein Verfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften anhängig. In diesem wurden seine Kanzleiräume durchsucht und es wurde der Kanzleicomputer des Beschuldigten sicher gestellt. Der Beschuldigte hat sich gegen diese Sicherstellung gewandt. Das BVerfG (a.a.O.) hat u.a. ausgeführt, dass von Verfassungs wegen die fortbestehende Sicherstellung der Gegenstände auch im Hinblick auf ein von dem Rechtsanwalt geltend gemachtes Beweisverwertungsverbot nicht zu beanstanden sei. Es sei auch nichts gegen die Auffassung des Landgerichts, das auf die Beschwerde des Rechtsanwalts hin mit der Sache befasst gewesen ist, verfassungsrechtlich nichts zu erinnern, dass die Prüfung der Beweisgeeignetheit der sichergestellten Gegenstände nicht schon in einem der Durchsicht vorgelagerten Verfahrensstadium vorgenommen werden könne. Auch der vom Rechtsanwalt eidesstattlich versicherte Umstand, wonach sich auf den sichergestellten Datenträgern auch seine Kanzleidaten befänden, gebot nach Auffassung des BVerfG von Verfassungs wegen keine Freigabe der Beweismittel. Von Bedeutung sei hierbei, dass sich neben den unter Umständen auf den Datenträgern abgelegten Kanzleidaten auch andere, gegebenenfalls verfahrenserhebliche Daten auf den sichergestellten Datenträgern befinden.
Tipp/Hinweis: Das BVerfG (a.a.O.) hat im Übrigen noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der vom Rechtsanwalt behaupteten Speicherung seiner Kanzleidaten jedoch bei der Durchsicht (§ 110 StPO) zu berücksichtigen sei, dass die Gewinnung überschießender und vertraulicher, für das Verfahren aber bedeutungsloser Informationen im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden muss. Das BVerfG setzt damit die Linie seiner Grundsatzentscheidung vom 12. 4. 2005 (2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917 [s.o.; s. auch unten] fort (vgl. dazu Wegner PStR 2005, 208). Die neue Entscheidung zeigt zudem anschaulich, wie schnell auch ein Rechtsanwalt in die Gefahr der Durchsuchung seiner Kanzleiräume kommen kann. Denn der Anfangsverdacht für die Durchsuchungsmaßnahme beruhte allein auf Kreditkartenbuchungen des beschuldigten Rechtsanwalts, mit denen - von ihm bestrittene - Leistungen einer kinderpornografischen Seite bezahlt worden waren. |
Das BVerfG weist immer wieder darauf hin, dass mit einer Durchsuchung schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen werde und diesem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis für die Maßnahme nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44, 51; Beschl. v. 2. 6. 2005, 2 BvR 334/05, NJW-RR 2005, 1289).
Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat es in zwei neueren Entscheidungen vermisst. Im Beschluss vom 2. 6. 2005 (a.a.O.) ging es erneut um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Rechtsanwalt hatte für einen Mandanten eine Auseinandersetzung mit einer Berufsgenossenschaft geführt. Nach Abschluss des Mandats verklagte er den Mandanten auf Zahlung des Honorars. Nach Abschluss jenes Verfahrens forderte der vormalige Mandant von dem Rechtsanwalt erfolglos die Herausgabe eines Bescheides der Berufsgenossenschaft, der sich noch bei den Akten des Rechtsanwalts befinden sollte. Eine Herausgabeklage wurde abgewiesen, weil der ehemalige Mandant nicht darlegen konnte, dass der Beschwerdeführer den Bescheid besitze. Der Mandant zeigte sodann den Rechtsanwalt wegen Unterschlagung an. In dem Verfahren ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Kanzleiräume des Rechtsanwalts an. Nach erfolgloser Durchsuchung hat der Rechtsanwalt Beschwerde erhoben, die beim Landgericht keinen Erfolg hatte.
Erst das BVerfG hat dem Rechtsanwalt Recht gegeben und mit deutlichen Worten zu der Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen. Unter Hinweis auf seinen Beschl. v. 12. 4. 2005 (NJW 2005, 1917 [s.o.]) hat es nochmals darauf hingewiesen, dass bei strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger, vor allem also bei Rechtsanwälten, der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege liege und deshalb eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme fordere. Die hat das BVerfG vermisst. Es erscheine "evident sachfremd und daher grob unverhältnismäßig und willkürlich, wegen des fraglichen Besitzes eines Rentenbescheides die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts zu durchsuchen". Abgestellt hat das BVerfG auf das geringe Gewicht der fraglichen Straftat der Unterschlagung im zu beurteilenden Fall, zumal vollkommen unerörtert geblieben sei, welchen Wert der Besitz des Bescheides für den vormaligen Mandanten - über das Eigentumsinteresse an dem Papier hinaus - haben könnte.
Tipp/Hinweis: In einer anderen Entscheidung hat das BVerfG (Beschl. v. 13. 11. 2005, 2 BvR 728/05) eine Durchsuchung deshalb als unverhältnismäßig angesehen, weil nahe liegende grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterblieben oder zurückgestellt worden waren und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des vorliegenden Tatverdachts stand. In der Sache war es um einen Verstoß gegen das Markengesetz gegangen. Das BVerfG hat beanstandet, dass mehr als Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichten nicht vorgelegen hatten. Auch seien zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr erkennbar gewesen. Gerügt hat das BVerfG dann insbesondere, dass die (einfache) Möglichkeit, die für das Verfahren bedeutsame Identität eines Kunden durch die Anfrage nach dem hinter einer bekannten E-Mail-Adresse Stehenden bei dem Internet-Provider als vorrangige Maßnahme in Betracht gezogen worden war. |