Europäische Institut für Menschenrechte - Prof. Dr. Dr. Ümit Yazıcıoğlu -
      Europäische Institut für Menschenrechte - Prof. Dr. Dr. Ümit Yazıcıoğlu -

„Kampf der Kulturen“ 

Die Auseinandersetzung der Kulturen des Islam und der westlichen Welt.

 Ümit Yazıcıoğlu
 

1. Einleitung

In seinem Standardwerk „Kampf der Kulturen“ stellt Samuel P. Huntington die umstrittene These auf, der von ihm aufgezeigte Interessenskonflikt zwischen den großen Kulturen könne eine weitreichende Fragilität der Welt zur Folge haben, deren Gefahrenpotenzial schließlich in einer Art Dritter Weltkrieg münden könnte.1 Im Fokus der folgenden Arbeit steht dabei die Auseinandersetzung der Kulturen des Islam und der westlichen Welt.

In der Tat herrschen in vielen Gebieten der Welt Kriegszustände. Nach dem 11. September 2001 sahen sich die Vereinigten Staaten im Kriegszustand, und auch bezogen auf die Situation im Irak lässt sich diese Bezeichnung trotz des offiziell beendeten Krieges nicht von der Hand weisen.

Zahlreiche radikal-islamisch motivierte Attentate haben in den vergangenen Jahren das sprichwörtliche Öl ins Feuer der Diskussion um einen Kampf der Kulturen gegossen. Dabei wurde deutlich, dass Anschläge nahezu überall auf der Welt möglich und zu erwarten sind.

Die durch tschetschenische Terroristen durchgeführte Geiselnahme vor allem von Kindern im südrussischen Beslan, der mehrere Hundert Personen zum Opfer fielen, verdeutlichte einmal mehr, dass der nicht zuletzt auf dem Glauben basierende Widerstand keine Grenzen kennt – weder im Kopf noch zwischen Staaten.

In Beslan spielten neben dem muslimischen Glauben weiter Teile der Bevölkerung Tschetscheniens auch andere Faktoren wie der seit Jahren anhaltende und von Seiten Moskaus geführte Krieg eine entscheidende Rolle, weshalb dieser Fall nicht exemplarisch für das Thema dieser Arbeit stehen kann. Er unterstreicht aber nichtsdestotrotz eine neue Eigenschaft des Widerstands, der in dieser Arbeit untersucht werden soll.

Ein weiteres Beispiel für die Internationalisierung des Widerstands bietet der Anschlag auf den Madrider Bahnhof Atocha im März dieses Jahres: Kurz vor

 

1 Vgl. Huntington, Samuel P., Kampf der Kulturen, Europa Verlag, München 1997, S. 491 u. S. 514 ff.

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den Parlamentswahlen versetzten die Attentäter ein Land in Angst und Schrecken, dessen Bevölkerung in weiten Teilen mit der Irak-Politik der Regierung nicht einverstanden war. Nach den Wahlen, die einen Regierungswechsel nach sich zogen, mutmaßten einige Beobachter, die aus dem Anschlag resultierende Angst habe die Bevölkerung zur Wahl des neuen Ministerpräsidenten Zapatéro bewogen, der sich zuvor für einen Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak ausgesprochen hatte.

Die nachweisbare Tatsache, dass die spanische Bevölkerung schon vor dem Anschlag gegen die Politik des damaligen Ministerpräsidenten Aznar war und gegen ihn demonstrierte, widerlegt die These, der Anschlag habe den Regierungswechsel bedingt. Dass er ihn aber gefördert wurde, lässt sich nur schwer belegen.

Um die Komplexität der Thematik soweit es möglich ist zu entwirren, beschreibe ich im Folgenden zunächst die Reibungspunkte und Ursachen der Auseinandersetzung zwischen Teilen des Islam und der westlichen Welt, die auch im Fokus der Diskussion um den Kampf der Kulturen steht.

Im Anschluss ist der Wandel des Widerstandes zu untersuchen, für den inzwischen der Begriff des neuen Terrorismus geprägt wurde.
Über die Mittel des Widerstands gelange ich dann zu einer kurzen Darstellung der Zukunftsaussichten, um im Anschluss mit dem Fazit zu schließen.

2. Der Kampf des Islam gegen den Westen

Zu Beginn dieses Abschnitts gilt es, streng daran festzuhalten, dass bei dem als „Kampf der Kulturen“ bezeichneten Konflikt zwischen den Ideologien des Islam und des Westens nicht von einer Verallgemeinerung ausgegangen werden kann.

Weder stehen die Muslime als Gemeinschaft gegen den Verbund aller Christen, noch kämpfen beide Seiten gegeneinander. Der tatsächliche Kampf wird von Splittergruppen der islamischen Welt, den radikalen Islamisten, gefochten. Um

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sie geht es in dieser Arbeit, wenn im Zusammenhang mit dem Kampf der Kulturen von der islamischen Seite die Rede ist.

Bezüglich der Ursachen des vom radikalen Islam geführten Kampf lassen sich zahlreiche Angaben aufführen:
Osama Bin Laden „called for the murder of any American, anywhere on earth, as the individual duty for every Muslim who can do it in any country in which it is possible to do“.2 Dabei machte er keine Unterscheidung zwischen amerikanischem Militär und Zivilisten. Doch was ermächtigte den saudischen Terroristen dazu, den Muslimen auf der Welt einen Mordauftrag zu erteilen? „Neither Bin Ladin, Zawahiri, nor the three others who signed this statement were scholars of Islamic law.“3, demzufolge maßte sich hier eine Privatperson ohne jegliche islamische Legitimation an, im Namen der islamischen Welt zu reden.

Eben solche Aufrufe wie der von Bin Laden sind nur von radikalen Personen zu erwarten, islamische Gelehrte, die dem Koran folgen und diesen nicht zu ihren Gunsten interpretieren, würden einen solchen Aufruf nicht unterstützen.
Die oft bemühte Berufung auf den Koran zur Rechtfertigung gewaltsamer Aktionen ist daher als Instrumentalisierung des Islam für die Zwecke der radikalen Islamisten zu deuten.4

Hier wird bereits eine innere Zerrissenheit des Islam deutlich, nämlich zwischen toleranten und im Rahmen ihres Glaubens liberalen Muslimen, die den Fortschritt und eine Annährung an westliche Standards begrüßen und denen, die für die Traditionen ihrer Religion bereit sind, Menschen anderer Auffassung zu töten5, „the threat posed by Islamist terrorism“.6

Der islamische Fundamentalismus wird oft als Produkt der Globalisierung und Mittel des Widerstands gegen die von ihr ausgelösten Prozesse charakterisiert.7 Schwerer noch wiegt der Vorwurf, der Westen sei in die islamische Welt

2 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 47 3 Ebd.
4 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 11
5 Vgl. Tibi, Bassam, Die fundamentalistische Herausforderung, Verlag C.H. Beck, München 2002, S. 181

6 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 363

 

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eingedrungen und habe Muslime mit den Mitteln der Säkularisierung zum Abweichen von islamischen Werten verlockt8, was wiederum dazu führte, dass der Islam seine Selbständigkeit bereits im 19. Jahrhundert nur durch die Aneignung europäischer Vorgaben umsetzen zu können glaubte.

Der europäische Imperialismus und nicht zuletzt Studenten und Intellektuelle, die von ihren Reisen aus Europa zurückkehrten, haben Ideologien in muslimische Länder transportiert, die sich alsbald als unvereinbar mit den Prinzipien des Islam darstellen sollten. Gleichzeitig haben sich andere im Westen studierte Muslime die Erfahrungen der Moderne im Kampf gegen den Westen zunutze gemacht.9

Paul Berman fügt in seinem Werk „Terror and Liberalism“ den Islamwissenschaftler Tariq Ramadan an, der fragt: „What do we mean when we use the word ‚civilization’?“10 Berman verweist auf die klassische Literatur, in der die Zivilisation stets gleichbedeutend mit der westlichen Kultur steht und die Kultur des Islam unberücksichtigt lässt.11

Die entscheidende Frage muss lauten, ob sich aus den Vorgängen der Vergangenheit Rückschlüsse auf den heutigen Kampf ziehen lassen: „Heißt es nicht für dasjenige Land, diejenige Kultur, welche die „Segnungen“ des Westens nicht übernimmt, den Anschluss, d.h. die Realisierung von Frieden und Wohlstand, zu verpassen?“12 Der Westen bildet das Feindbild der Fundamentalisten, weil er als Verursacher einer Entwicklungskrise sowie von Identitätslosigkeit und mangelnder Identifikation vieler Muslime mit dem Islam anerkannt wird.13

Dabei lag es nicht im Interesse der muslimischen Modernisten, ihre Glaubensbrüder und –schwestern vom Islam abzubringen oder die Grundorientierung des Islam zu ändern, ihnen war lediglich daran gelegen, sie durch das Vorbild des Westens zu ergänzen und mit Hilfe der

7 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 42 8 Vgl. ebd., S. 52
9 Vgl. ebd., S. 15
10 Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003, S. 24

11 Vgl. ebd.
12 Thamm, Berndt Georg, Terrorismus, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002, S. 384
13 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 36

 

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Nationalstaatlichkeit politische Freiheit zu erlangen.14 Das Scheitern der kultu- rellen Verwestlichung und der Aneignung der Moderne führten dann in den genauen Gegensatz des ursprünglich Erdachten und entwickelten sich schließlich zu direkten Wegbereitern des islamischen Fundamentalismus.15 Dieser erkennt in der Durchsetzung seiner Ziele keinerlei Grenzen an.16 Die Gesetze Allahs besitzen demzufolge globale Gültigkeit, aus der die Idee einer islamischen Weltordnung resultiert17, deren zentrales Ziel die Abschaffung des Säkularismus ist.18

Der kulturelle Schicksalskampf wird über die Religion ausgefochten, da es an alternativen Plattformen mangelt: „Welche Mittel gibt es, die eigene Bevölkerung bei der Stange zu halten und sie vor den materiellen Verlockungen zu schützen, gleichzeitig ihr aber ein hohes kulturelles oder religiöses Selbstwertbewusstsein zu verschaffen?“19 Berman schreibt hierzu: „The profoundest mentality and emotions of the Muslim world, the cultural memories, the intellectual instincts – these are not only different from those of the West, they are nearly incomprehensible to the Western mind.“20

Es lässt sich demnach schlussfolgern, dass der schwelende Zivilisationskonflikt – der Kampf der Kulturen – seine Ursache im „verpflanzten, modernen, säkularen Staat“21 hat, der, „geformt nach einem westlichen Vorbild, das den Traditionen des Islam fremd war“22, nicht imstande ist, die Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Huntington erklärt die Legitimitätsprobleme islamischer Staaten als Folge ihrer Existenz als willkürliche Produkte des europäischen Imperialismus23, „we are indeed dealing with two different universes of reference, two civilizations and two cultures“.24

14 Elger, Ralf (Hrsg.), Kleines Islam-Lexikon, München 2001, S. 203
15 Vgl. Tibi, Bassam, Die fundamentalistische Herausforderung, Verlag C.H. Beck, München 2002, S. 52
16 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 6 17 Vgl. ebd.
18 Vgl. ebd., S. 7
19 Thamm, Berndt Georg, Terrorismus, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002, S. 384
20 Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003, S. 24
21 Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 36
22 Huntington, Samuel P., Kampf der Kulturen, Europa Verlag, München 1997, S. 284
23 Vgl. ebd., S. 281
24 Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003, S. 24

 

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Terrorakte lassen sich als Mittel der Gegenwehr und zur Aufwertung der eigenen Identität nicht rechtfertigen, in Wirkung und Ursache aber erklären, denn „das elementare Ziel terroristischer Gewalttätigkeit [besteht] letztendlich darin, das System zu verändern [...]25 – „modern civilization does not exist – only civilizations, in the plural“.26

3. Die neue Qualität des gewaltsamen Widerstands

3.1 Die Vorboten des neuen Terrorismus: Das Gewissen der Welt

Das erste Auftauchen dessen, was als moderner internationaler Terrorismus betrachtet wird, datiert auf den 22. Juli 1968.27 Die Entführung eines israelischen Passagierflugzeugs durch eine Gruppe der palästinensischen Befreiungsfront PLO bedeutete eine politische Signalwirkung, da die Terroristen ihre Geiseln gegen in Israel inhaftierte palästinensische Terroristen austauschen wollten.28 Was in den Anschlägen von New York oder Madrid zum Ausdruck kam, nahm an diesem Tag seinen Anfang: „Terrorism is premediated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational or clandestine agents, usually intended to influence an audience“.29

Plötzlich standen nicht mehr ausschließlich die politischen Ziele der Terroristen im Vordergrund ihrer Tat, sondern ebenso die mit ihr aufkommende Aufmerksamkeit sowie die direkte Einflussnahme auf die Politik. Dabei lässt diese Form des Terrorismus bis heute aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Basis der Terroristen mit den potenziellen Unterhändlern keine Verhandlungen, die über eine kurzfristige Entschärfung einer Situation (etwa einer Flugzeugentführung), zu, „it is not a position [to] bargain or negotiate.

25 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 53 26 Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003, S. 25
27 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 85 28 Vgl. ebd.

29 Schweitzer, Glenn E., A Faceless Enemy – The Origins of Modern Terrorism, Perseus Publishing, Cambrige 2002, S. 24

 

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With it there is no common ground – not even respect for life – on which to begin a dialogue“.30

Dennoch erreichten die Terroristen der PLO durch die Flugzeugentführung, dass Israel gezwungen war, „direkt mit ihnen – und also mit der Organisation, zu der sie gehörten – zu kommunizieren, obwohl die israelische Regierung genau dies stets abgelehnt und ihre Politik auf diese Verweigerung festgelegt hatte“.31 Die Folge war eine enorme Publizität, deren Entwicklung der damalige Leiter der PLO-Delegation bei den Vereinten Nationen, Zehdi Labib Terzi, so beschrieb: „Die ersten [...] Entführungen rüttelten das Gewissen der Welt wach und weckten die Medien und die Weltmeinung sehr viel stärker – und effektiver – auf, als es Plädoyers vor den Vereinten Nationen im Laufe von 20 Jahren getan hatten.32

Ein zentrales Merkmal der Zeitenwende des Terrorismus bestand danach darin, dass Terroristen zur Ausübung eines Anschlags in ein anderes Land reisten und wahllos Menschen aus dritten, unbeteiligten Ländern als Opfer auswählten und die Staaten ihr Monopol auf den Krieg abgegeben haben.33 Für die Terroristen avanciert der kriegerische Kampf zu Lebensform. Ihre Gewalt wendet sich nicht gegen die bewaffnete Macht eines direkten Gegners, sondern mehrheitlich gegen Zivilbevölkerungen.34

 

30 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 363 31 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 85/86
32 Vgl. ebd., S. 86
33 Vgl. Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, Rowohlt Verlag, Reinbek 2002, S. 182 ff.

34 Vgl. ebd., S. 24 ff.

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3.2 Die Internationalisierung des Terrorismus und das Mittel der Destabilisierung

Die Internationalisierung des Terrorismus, genauer: des terroristischen Aktes, geht einher mit dem Ziel, durch den jeweiligen Anschlag eine (Verstärkung der) Destabilisierung herbeizuführen. Diese resultiert aus Angst, Ungewissheit und Misstrauen, Terroristen wollen „einfach schockieren und dadurch weltweit Furcht und Unruhe erzeugen“.35

Anschläge wie in Madrid verkünden eine zentrale Botschaft: Heute ist es hier geschehen, vielleicht schon morgen an einem anderen Ort, der heute nicht damit rechnet. Die Gefahr ist ungreifbar, da Anschläge überall ausgeführt werden können.

Das dem Zweck der Destabilisierung zur Verfügung stehende Mittel ist der Terrorismus, der Unruhe herbeiführt.36 Wenngleich das Fernziel einer neuen Weltordnung, in der es keinen Säkularismus, sondern eine Gottesherrschaft gibt, unrealistisch ist, ist der Kampf gegen den Westen für viele Muslime ein Ausdruck der eigenen Stärke.

Eines der entscheidenden Mittel, derer sich die Terroristen bedienen, sind die Medien: „Tatsächlich läuft ihr Tun, was seine Wirkung angeht, ohne Medienberichterstattung wohl weitgehend ins Leere, die Wahrnehmung desselben bleibt dann eng begrenzt auf die unmittelbaren Opfer von Angriffen und erreicht nicht das größere Zielpublikum auf das die Gewalttätigkeit der Terroristen eigentlich abzielt.“37

Das Produzieren bedeutsamer Medienereignisse erfolgt dabei durch die Kombination von dramatischer politischer Forderung, symbolischer Zielwahl (wie das World Trade Center und das Pentagon am 11. September), die durch die Krise herbeigeführte De-facto-Anerkennung der Organisation (Al-Qaida als

35 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 86
36 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 13 u. S. 33 37 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 173

 

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Kriegsgegner der USA) und das Involvieren unschuldiger Zivilisten (die im Verständnis der Terroristen keineswegs zwangsläufig unschuldig sind).38

Wurden Kriege im klassischen Sinn früher vornehmlich zwischen Staaten geführt, hat sich im vergangenen Jahrzehnt ein kompletter Wandel vollzogen. Während Krisen und Gefahrenherde noch vor Jahren frühzeitig erkannt wurden, können Bedrohungen heute ganz plötzlich losbrechen: „An organization like al Qaeda, headquartered in a country on the other side of the earth, in a region so poor that electricity or telephones were scarce, could nonetheless scheme to wield weapons of unprecedented destructive power in the largest cities of the United States“.39 Vor allem die zahlenmäßige Stärke der „Krieger“ steht in keinem Verhältnis zu vergangenen Zeiten, denn „to be dangerous, an enemy had to muster large armies“.40

Selbstmordattentate, wie sie in New York und Washington vollzogen wurden und etwa im Nahen Osten fast täglich vorkommen, belegen, dass für die Herbeiführung der charakteristischen Merkmale der Destabilisierung, Unruhe und Unsicherheit, weder Armeen, noch eine große Zahl von Widerstandskämpfern nötig sind. Allein die Beschaffung der zur Durchführung notwendigen Utensilien setzt eine gewisse Organisation voraus, während die reine Durchführung in vielen Fällen nicht einmal einer detaillierten Planung bedarf. Lediglich ein Zweck muss erfüllt werden, die Wirkung muss verheerend und aufmerksamkeitswirksam sein.

Der erste Anschlag auf das World Trade Center im Februar 1993 „signaled a new terrorist challenge, one whose rage and malice had no limit“.41

Ein Krieg im klassischen Sinn wäre für den radikalen Zweig des Islam aufgrund seiner Unterlegenheit in Zahl und Bewaffnung nicht zu gewinnen, er ist für die mittelfristige Durchsetzung seiner Ziele aber auch nicht zwingend notwendig. Die Anschläge vom 11. September, auf Djerba, in Madrid, im

38 Vgl. Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 86
39 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 363 40 Ebd., S. 362
41 Ebd., S. 72

 

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Nahen Osten und im Irak verdeutlichen die Macht der Islamisten, einen Grad der Destabilisierung – bisweilen gar auf internationaler Ebene – zu erzielen.42 – Eine Folge auch der „post-9/11 world, defined more by the fault lines within societies than by the territorial boundaries between them“.43 (9/11, 361)

Im Commission Report zum 11. September wird verdeutlicht, dass die Transnationalität der terroristischen Gefahr die „defining quality of world politics in the twenty-first century“ ist.44

4. Das politische Bewusstsein und seine Einschätzungen für die Zukunft

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 äußerte Bundeskanzler Gerhard Schröder, dass man sich „von den Terroristen nicht in einen Kampf der Kulturen ziehen“ lasse.45
Handelt es sich bei solch einer Aussage um die schlüssige und entschiedene Stellungnahme eines Regierenden oder spielt sich in diese Erklärung eine gewisse Blauäugigkeit ein? Das Beispiel des ersten Anschlags auf das World Trade Center 1993 schreckte die Welt auf, doch „although the bombing heightened awareness of a new terrorist danger, successful prosecutions contributed to widespread underestimation of the threat“.46

Die Anerkennung der Gefahr in ihrem vollen Umfang „würde den lieb gewordenen Traum von einer friedlichen Welt, vom Wegfall von Konfrontation und Bedrohung [...] zerstören“.47

Doch wie ist der unbestreitbaren Gefahr zu entgegnen, welche Wege müssen beschritten werden, um dem Terrorismus den Boden zu entziehen? Berman schreibt: „Western traditions have nothing to do with Muslim world“48 und gibt damit zu bedenken, dass eine Übermantelung der islamischen Welt mit den

42 Vgl. Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 183
43 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 361 44 Ebd., S. 362
45 Thamm, Berndt Georg, Terrorismus, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002, S. 384
46 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 73 47 Thamm, Berndt Georg, Terrorismus, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002, S. 384
48 Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003, S. 24

 

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westlichen Standards nicht möglich ist und eine Demokratisierung nicht von heute auf morgen vonstatten gehen kann.
Der Prozess der islamischen Transformation hin zu eine toleranten Gemeinschaft, einer Anerkennung von Gesetzen westlicher Standards, politischer und ökonomischer Aufgeschlossenheit, die Gleichberechtigung der Frau können nicht in Jahren, sondern müssen in Dekaden eingeleitet werden, denn „it is a process that will be violently opposed by Islamist terrorist organizations“.49

Der terroristische Akt zielt darauf ab, eine Botschaft zu übermitteln50, und es gilt, eben diese Botschaft zu richtig einzuschätzen, um in der Annährung der Kulturen behutsam vorzugehen. Der islamische Terrorismus wird unter den Muslimen immer mehr an Unterstützung und Toleranz verlieren, sofern der Westen nicht das Gefühl der Okkupation vermittelt.

Eine zentrale Qualität des neuen Terrorismus besteht darin, dass es keinen Dialog gibt, demzufolge die Spirale der Gewalt kein Ende finden kann. Beispiele hierfür findet man nahezu täglich in Nahost. Der Dialog muss dennoch erfolgen, wenn auch auf anderen Wegen. Es ist selbstverständlich, dass kein unmittelbarer Austausch mit Terroristen stattfinden kann, die Menschenleben verachten. Dementsprechend muss der Dialog mit der islamischen Welt, mit den friedlichen Muslimen verstärkt werden. Ihre Identität muss in diesem Dialog augewertet werden und zum Tragen kommen. Andernfalls wird eintreten, was die Kommission zum 11. September voraussagt: „[This] enemy [...] will menace Americans and American interests long after Usama bin Ladin and his cohorts are killed or captured“.51

49 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 364 50 Hoffman, Bruce, Terrorsimus – Der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001, S. 209
51 National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, Washington 2004, S. 364

 

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5. Fazit

Nach Huntington besteht die Gefahr einer geopolitischen Variante vom Kampf der Kulturen, die im Verlauf des 21. Jahrhunderts einen Dritten Weltkrieg auszulösen droht. Die Frage, wie ein solcher Weltkrieg aussehen würde, ist von grundlegender Bedeutung für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von Huntingtons These.

Womöglich hat dieser Krieg nämlich längst begonnen, wenn bislang auch in gemäßigtem Umfang: Es herrscht ein – unregelmäßig auftretender – weltweiter Terror, weltweit besteht die Gefahr eines Anschlags oder einer anders gearteten terroristischen Aktion, wie Beslan und Madrid zeigen. Die Auswirkungen und solcher Attentate und ihre Folgen für die Zukunft sind kaum sachlich zu bewerten.

Auch die Frage, ob der Kampf der Kulturen mit den Anschlägen vom 11. September seinen eigentlichen Ausbruch erfahren hat, ist strittig. Diese These kann kaum seriös beantwortet werden, da sie den vorangegangenen Konflikt vernachlässigt, in dem eine Splittergruppe islamischer Terroristen die USA (und mit ihr die Werte der westlichen Welt) zum Feind erklärt hat. Es handelt sich nach meiner Ansicht nicht um einen Kampf zwischen islamischer und westlicher Kultur, Bin Laden ist kein Repräsentant des Islam.

Die These vom Kampf der Kulturen als Vorbote eines Dritten Weltkriegs lässt sich je nach Betrachtungsweise negieren oder befürworten:
Gegen die These spricht die Friedfertigkeit der islamischen Welt, die nicht durch radikale Islamisten und deren Terror repräsentiert wird.

Dafür wiederum lässt sich argumentieren, dass das Kriegsgeschehen während des vergangenen Jahrzehnts einen kompletten Wandel vollzogen hat. Wenn also der von Splittergruppen transnational geführte Kampf gegen Werte, die den ihren nicht entsprechen, die Bezeichnung des „neuen Krieges“ verdient, so muss auch die Bezeichnung eines „neuen Weltkriegs“ erlaubt sein.

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Literaturverzeichnis

Berman, Paul, Terror and Liberalism, W.W. Norton & Company, New York 2003

Elger, Ralf (Hrsg.), Kleines Islam-Lexikon, München 2001

Hoffman, Bruce, Terrorismus – der unerklärte Krieg, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 2001

Huntington, Samuel P., Kampf der Kulturen, Europa Verlag, München 1997

Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, Rowohlt Verlag, Reinbek 2002

National Commission on Terrorist Attacks Upon The United States, The 9/11 Commission Report, PDF-File,
Washington 2004

Schweitzer, Glenn E., A Faceless Enemy – The Origins of Modern Terrorism, Perseus Publishing, Cambrige 2002

Thamm, Berndt Georg, Terrorismus,
Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002

Tibi, Bassam, Fundamentalismus im Islam, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000

Tibi, Bassam, Die fundamentalistische Herausforderung, Verlag C.H. Beck, München 2002

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