Europäische Institut für Menschenrechte - Prof. Dr. Dr. Ümit Yazıcıoğlu -
      Europäische Institut für Menschenrechte - Prof. Dr. Dr. Ümit Yazıcıoğlu -

Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine  Prof. Dr. Dr. Ümit Yazıcıoğlu

Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine

Seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine sind nach Angaben des Chefs des UN-Flüchtlingshilfswerks, Eilippo Grandi, mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Die Vereinten Nationen sprechen schon jetzt von der am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es wird prognostiziert, dass in den kommenden Tagen und Wochen viele weitere Millionen Menschen flüchten werden, sofern der Krieg nicht umgehend gestoppt wird. Während der überwiegende Teil Zuflucht in Polen sucht, kommen jedoch auch jetzt schon viele Flüchtlinge nach Deutschland. Wie viele Menschen das bereits sind, ist schwierig zu benennen, da keine Grenzkontrollen stattfinden und Ukrainer:innen zunächst visumfrei einreisen können. Die meisten Menschen kommen derzeit mit Zügen und Bussen in Berlin an - zuletzt etwa 10.000 Menschen täglich.

 

Anlässlich dieses Zustroms von Kriegsflüchtlingen hat die Forschungsstelle Migrationsrecht, die an den Lehrstuhl für Öffentliches Recht von Prof. Kluth angegliedert ist, eine Handreichung erstellt, die die möglichen rechtlichen Grundlagen für eine Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine übersichtlich darstellt. Dabei geht es vor allem um die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge auf Grundlage einer europäischen Lösung über die erstmalig aktivierte Massenzustromrichtlinie. Der Inhalt der Handreichung wird im Folgenden abgedruckt.

 

„Die Mitgliedstaaten der EU haben aufgrund des erwarteten „Massenzustroms“ von Vertriebenen in die EU die Gewährung von vorübergehendem Schutz für Betroffene aus der Ukraine beschlossen (Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4.3.2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine iSd Art. Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine(ZAR 2022, 135) Aufnahme im Rahmen des Asylverfahrens nicht möglich sein wird (Erwägungsgrund 7).

 

Berechtigter Personenkreis

Umfasst sind nur Menschen, die durch die militärische Invasion der russischen Streitkräfte seit dem 24.2.2022 aus der Ukraine vertrieben wurden. Der berechtigte Personenkreis ist beschränkt auf ukrainische Staatsangehörige die vor dem 24.2.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten (Art. 2 Ia)) sowie Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer, die in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben (Art. 2 Ib)) und die Familienangehörigen dieser beiden Personenkreise (Art. 2 Ic)). Dies sind gem. Abs. 4 insbesondere Ehegatt:innen, minderjährige ledige Kinder und vollständig oder größtenteils von der Unterstützung abhängige enge Verwandte. Staatenlose oder Staatsangehörige anderer Drittländer, die sich mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, sind nur geschützt, wenn sie nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren. Für sie kann auch ein anderer „angemessener“ Schutz nach nationalem Recht vergeben werden (Art. 2 II).

 

Nicht umfasst sind damit Personen mit einem befristeten Aufenthaltstitel; das betrifft mehr als 70.000 Studierende vor allem aus Indien und afrikanischen Ländern. Außerdem nicht umfasst sind Personen ohne ein Aufenthaltsrecht, insbesondere Asylbewerber:innen.

 

Umsetzung in Deutschland

Das Bundesinnenministerium hat die Möglichkeit, darüber hinaus zu beschließen, den Ratsbeschluss auch auf Personen anzuwenden, die Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer sind und sich in der Ukraine rechtmäßig aufgehalten haben, aber keinen unbefristeten Aufenthaltstitel innehatten auch dies allerdings unter der Einschränkung, dass die Personen nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können (Art. 2 III). Insbesondere betrifft das mehr als 70.000 Studierende, vor allem aus Indien und afrikanischen Ländern, die an ukrainischen Universitäten studiert haben. Die Betroffenen können sich den Mitgliedstaat aussuchen, indem sie Schutz suchen (vgl. Erwägungsgrund 16).

 

Sollten sich die Betroffenen dafür entscheiden, in Deutschland Zuflucht zu suchen, haben sie Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG. Das Bundesinnenministerium muss nun alsbald der zur Koordinierung gedachten „Solidaritätsplattform“ der EU die Aufnahmekapazitäten Deutschlands mitteilen (Erwägungsgrund 20).

 

Erwerbstätigkeit

Art. 12 RL 2001/55/EG sieht eigentlich vor, dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet ist, stellt den Mitgliedstaaten aber gleichzeitig frei, EU-Bürger:innen sowie Drittstaatsangehörigen mit rechtmäßigem Aufenthalt, die Arbeitslosengeld beziehen, Vorrang zu gewähren. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber in § 24 VI 2 AufenthG Gebrauch gemacht, indem er die Ausübung der Beschäftigung von einer Erlaubnis abhängig gemacht hat. Da aufenthaltsrechtliche Gesichtspunkte, die gegen eine Beschäftigungserlaubnis sprechen könnten, nicht ersichtlich sind, ist aus der Sicht der Bundesregierung dringend geboten, dass bereits bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, auch wenn noch kein konkretes Beschäftigungsverhältnis in Aussicht steht, in den Aufenthaltstitel eingetragen wird, dass die Beschäftigung erlaubt ist.

 

Dauer des Aufenthalts

Vorerst wird das Aufenthaltsrecht für ein Jahr erteilt und ist anschließend auf bis zu maximal drei Jahre verlängerbar (Erwägungsgrund 21).

 

Wie kann es danach weiter gehen?

Während der Aufenthaltszeit als Inhaber:in vorübergehenden Schutzes können Berufsqualifikationen anerkannt werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, nach Ablauf des vorübergehenden Schutzes zu einem Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit zu wechseln. Ein Spurwechsel ist möglich, wenn eine Nachholung des Visumverfahrens gem. § 5 II 2 AufenthG aufgrund der Sicherheitslage weiterhin unzumutbar wäre.

 

Von § 24 AufenthG abgesehen können Ausländer:innen, die sich am 24.2.2022 in der Ukraine aufgehalten haben, auch sonstige längerfristige Aufenthaltstitel im Bundesgebiet beantragen ohne ein Visumverfahren zu durchlaufen. Dies ergibt sich aus § 3 UkraineAufenthÜV. Vorerst gilt dies jedoch nur bis 23.5.2022 (§ 4 II UkraineAufenthÜV).

 

Natürlich ist es auch nach Ablauf des vorübergehenden Schutzes noch möglich, einen Antrag auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zu stellen. Dessen Erfolgsaussichten richten sich dann nach der aktuellen Sicherheitslage in der Ukraine. Sollte sie stabil sein, bestünde kein Grund für die Gewährung subsidiären Schutzes.“

 

 

 

 

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